In Folge 2 unserer Reihe "Entwicklungen in der Versicherungs- und Finanzindustrie" geht es um die Gestaltung von Lizenzverträgen.
Torsten Schwendrat, Geschäftsführer der Aeiforia GmbH, spricht über besondere Erfordernisse und Fallstricke bei der Gestaltung von IT- und Softwarelizenzverträgen.
Interviewerin: Herr Schwendrat, Sie sind Volljurist und seit über zwanzig Jahren in der Prozessberatung bei Anbietern von Altersvorsorgeprodukten tätig. Aufgrund Ihrer Erfahrungen sind Sie besonders versiert in der Entwicklung und Gestaltung von Lizenzverträgen. Gerade Versicherer und andere Anbieter tun sich oftmals schwer mit der sicheren Gestaltung von Lizenzverträgen mit IT-Dienstleistern und Softwarehäusern. Was macht denn die Gestaltung dieser Lizenzverträge so besonders?
Torsten Schwendrat: Juristen bewerten Verträge im klassischen Sinne, das heißt, sie betrachten allgemeine Richtlinien und Anforderungen, wie zum Beispiel den Kauf- oder Lizenzgegenstand, Preis, die Parteien, die den Vertrag abschließen möchten, Zahlungskonditionen, Vertragslaufzeit, gegebenenfalls noch das Rücktrittsrecht und allgemeine Haftungspflichten oder -ausschlüsse. Prozess- und Fachkenntnisse spielen dabei meistens eine untergeordnete Rolle.
Doch schon bei der Formulierung von Haftungsverpflichtungen oder eines Haftungsausschlusses ist es unbedingt erforderlich, die Risiken innerhalb der Prozessketten und Geschäftsvorfälle, die die Softwarelizenz abdecken soll, genau beurteilen zu können. In der Regel kennen nur erfahrene Fachexperten die Risiken, die im Nutzeralltag auftreten können. Die vertragstypischen Anforderungen an einen Lizenzvertrag mit IT-Dienstleistern sollten daher stets einem juristisch beratendem Team überlassen werden, das mit der versicherungsrechtlichen Seite, der Anwenderseite und der IT-Seite vertraut ist. Aus diesem Grund spreche ich hier auch von einer interdisziplinären Vertragsgestaltung.
I: Das hört sich nach einer komplexen Vertragsentwicklung an. Wenn spezifische Risiken vor Vertragsabschluss erkannt, geklärt und im Lizenzvertrag berücksichtigt werden müssen, dann setzt dies voraus, dass die Vertragspartner - also der Versicherer oder das Finanzdienstleistungsunternehmen sowie der Softwareanbieter - ein identisches Verständnis von den Risiken haben. Können Sie konkrete Risikopunkte benennen, aus denen sich besondere Erfordernisse für die Vertragsgestaltung ergeben?
TS: Nehmen wir ein Beispiel aus der Verwaltung von Versicherungsverträgen und -beständen; dabei geht es unter anderem darum, steuerliche Meldedaten für die Finanzbehörde zu ermitteln und Daten an die Finanzbehörde zu übermitteln. Die damit verbundenen Prozesse oder Geschäftsvorfälle sollen mithilfe eines Softwareprogramms, deren Nutzung ein IT-Dienstleister als Lizenz anbietet, abgewickelt werden.
Hier ergeben sich an drei Punkten besondere Erfordernisse für die Vertragsgestaltung:
- bei der Anpassung der Softwareprogramme an neue regulatorische Anforderungen
- beim Umgang mit Auslegungsfragen
- bei der für den Lizenznehmer uneingeschränkten Entscheidungsfähigkeit
I: Worum geht es dabei jeweils im Detail?
TS: Bei der Anpassung an neue regulatorische Anforderungen geht es darum, dass neue und zukünftige Regularien, die der Gesetzgeber aufstellt, rechtzeitig umgesetzt werden, damit die bestehenden Systeme zum festgelegten Termin mit den richtigen Werten arbeiten und Ermittlungs- bzw. Übermittlungsprozesse korrekt angestoßen werden und ablaufen.
In diesem Zusammenhang müssen folgende Fragen geklärt werden:
- Wer ist für die fristgerechte Umsetzung einer solchen Software-Anpassung verantwortlich?
- Wer trägt die Kosten?
- Wer haftet, wenn die Umsetzung der regulatorischen Anforderungen nicht fristgerecht erfolgt?
Lizenznehmer sollten bei der Vertragsgestaltung darauf achten, dass ihnen durch Anpassungen an der Software aufgrund regulatorischer Anforderungen keine unerwarteten Kosten entstehen und eine fristgerechte Umsetzung durch den Lizenzgeber gewährleistet wird.
Die Haftungsfrage wird dadurch verschärft, dass die Gesetzgebung seit 2017 eine Haftungsregelung für Anbieter festgelegt hat (vgl. EStG § 96). Seit diesem Zeitpunkt haftet der Anbieter, wenn regulatorische Anforderungen fehlerhaft, verspätet oder gar nicht umgesetzt werden. Vor Inkrafttreten dieser Haftungsregelung konnten Anbieter nicht für entgangene Steuern zur Rechenschaft gezogen werden. Das heißt, für alte Lizenzverträge mit IT-Dienstleistern war dieses Thema kaum relevant. In Zukunft ist jedoch darauf zu achten, dass diese neuen Haftungsbestimmungen auch in die alten, schon bestehenden Lizenzverträge aufgenommen werden und der Anbieter den Lizenzgeber entsprechend in die Pflicht nimmt.
Beim Umgang mit Auslegungsfragen geht es darum, ein Prozedere festzulegen, wie vorzugehen ist, wenn Lizenznehmer und Lizenzgeber einen steuerrechtlichen und meldepflichtigen Sachverhalt unterschiedlich bewerten. In der Praxis kommt es vor, dass Anbieter und deren Steuerabteilungen einen Sachverhalt in einer ganz spezifischen Form besteuern möchten, die Software legt den Sachverhalt jedoch anders aus. Derart offene Auslegungspunkte müssen vor Abschluss des Vertrages geklärt werden. Zu klären ist, wie Auslegungsfragen im Vertrag und im Alltag zu berücksichtigen sind. Und ganz wichtig: Ist eine Anpassung kostenpflichtig?
Und der dritte Vertragspunkt betrifft die Entscheidungsfähigkeit des Lizenznehmers, also des Versicherers oder Finanzdienstleistungsunternehmens. Der Vertrag sollte die Entscheidungsfähigkeit des Lizenznehmers nicht einschränken. Das heißt, um eine für das Finanz- oder Versicherungsunternehmen optimale IT-Lösung schaffen zu können, muss der Lizenznehmer auch die Möglichkeit nutzen können, auf einen externen Fachberater zuzugehen und mit diesem zusammenzuarbeiten; denn nicht immer ist alles Fachwissen, zum Beispiel rund um Riester- oder bAV-Vertrags- und Bestandsverwaltungsprozesse, im Unternehmen vorhanden. Speziell mit komplexen Meldesituationen ist die Sachbearbeitung oftmals nicht vertraut. Hier greifen Versicherer und Finanzdienstleister gerne auf Beratungshäuser zurück, die sie auch bei Fragen rund um die Abwicklung korrekter Datenermittlung und Datenübermittlung an Finanzbehörden beraten.
- Vorsicht: Schließen IT-Dienstleister oder Softwarehäuser die Zusammenarbeit des Lizenznehmers mit einem Beratungshaus im Lizenzvertrag explizit aus, so hat der Lizenznehmer keine Möglichkeit, Fachwissen einzuholen und eine Qualitätssicherung oder Entscheidungsfindung mit Unterstützung eines Fachberaters herbeizuführen. Wenn dann der Softwareanbieter zudem keine Haftung übernehmen will, erschwert er so die Situation des Lizenznehmers immens.
I: Wenn Versicherungs- und Finanzunternehmen mit einem Software-Lizenzvertrag auf Nummer Sicher gehen und im Nachhinein nicht über Fallstricke stolpern möchten, wie können sie erkennen, was sie von ihrer Lizenz tatsächlich erwarten dürfen?
TS: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass vor Vertragsabschluss zwei Dokumente vorliegen sollten, die den Leistungsumfang der Lizenz offenlegen.
- Vom Softwarehaus/IT-Dienstleister muss eine Dokumentation aller Funktionen vorliegen, die die Software laut Vertrag erfüllt.
- Auf Fallgestaltungen, in denen eine richtige und vollständige Verarbeitung nicht möglich ist, ist vollumfänglich und abschließend hinzuweisen (vgl. § 87c AO). Diese Dokumentation zeigt die Lücken und Risiken der Lizenz auf. Kosten, Haftungsrisiken und Mängel in der Umsetzung sind folglich im Zusammenhang mit den aufgelisteten Prozessen zu erwarten.
I: Wie unterstützt Aeiforia Versicherungs- und Finanzunternehmen bei der Gestaltung von Lizenzverträgen mit IT-Dienstleistern und Softwarehäusern?
TS: Aeiforia bietet drei Möglichkeiten der Zusammenarbeit:
- Wir übernehmen und koordinieren die Vertragsgestaltung zwischen Anbieter und Softwarehaus/IT-Dienstleister
- Wir schulen Anbieter von Altersvorsorgeprodukten in Workshops und stehen darüber hinaus für Einzelfragen zur Verfügung
- Wir bewerten mithilfe eines Vertrags-Checks in Zusammenarbeit mit unseren Kunden die Vertragsbestandteile für die Gestaltung eines Vertrages zwischen Anbieter und IT-Dienstleister oder Softwarehaus.
I: Vielen Dank, Herr Schwendrat, für diese ausführlichen branchenrelevanten Informationen rund um die Aushandlung von Lizenzverträgen mit IT-Dienstleistern und Softwarehäusern.
Das Interview führte Sabine Gattung, Bessvema GmbH